Flucht von Berlin nach Berlin – unterirdische Fluchten zur Zeiten der DDR

Die Führung „Tour M“ des privaten Fluchttunnelmuseums der Berliner Unterwelten gewährt dem Besucher Einblicke in die geschichtsträchtigen Vorgänge, die sich zu Zeiten der DDR unterhalb der Stadt abgespielt haben.

Von Lea Wieser

Der originalgetreue Nachbau des "Tunnel 57“ zeigt unter welch harten Bedingungen die Fluchttunnelbauer arbeiten mussten.

Der originalgetreue Nachbau des „Tunnel 57“ zeigt unter welch harten Bedingungen die Fluchttunnelbauer arbeiten mussten.

Schlupflöcher durch die Mauer

An jenem Sonntagabend, den 4. Oktober 1964 wagen 29 Flüchtlinge den Versuch durch den Tunnel von Ost-Berlin aus in die Freiheit des Westens zu gelangen. Bereits in der Nacht zuvor war es 28 ehemaligen DDR-Bürgern gelungen, durch den Stollen unter der Bernauer Straße die tödlichen Sperranlagen des SED-Regimes zu überwinden. Ein riskantes Unterfangen, denn die DDR-Staatssicherheit war bereits bestens vorbereitet auf die Katz-und-Maus-Spiele mit ihren zahlreichen fluchtwilligen Bürgern – doch die Flucht aus den Fängen der DDR sollte jener Gruppe dennoch gelingen. Der „Tunnel 57“, namensgebend waren die 57 Flüchtlinge, die durch ihn den Weg in die Freiheit fanden, war eines der „Glanzstücke“ der Berliner Fluchtgeschichte. Mit einer Länge von 145 Metern und einer Tiefe von zwölf Metern war er sowohl der aufwändigste, als auch der erfolgreichste Tunnel, der zwischen 1961 und 1989 gebaut wurde. Denn nur rund jeder vierte, der mehr als siebzig unterirdischen Fluchttunnel waren erfolgreich: zahlreiche spektakuläre Tunnelbau-Aktionen waren von Verrat und bitterem Scheitern gekennzeichnet – so boten die unterirdischen Bauwerke auch nur rund 300 DDR-Bürgern die Chance zu einer erfolgreichen Flucht. Eine Rekonstruktion des legendären „Tunnel 57“ ist nun zu besichtigen.

Ein Rückblick: die „Tour M“ zeigt Mauerdurchbrüche

Das private Fluchttunnelmuseum des Vereins „Berliner Unterwelten“ widmet sich, im Rahmen der Führung „Tour M“, den unterirdischen Fluchten während des SED-Regimes. Den Besuchern wird ein ungewöhnlicher Einblick in den Untergrund Berlins geboten: neben der Historie des „Tunnel 57“, informiert die Führung über die verschiedenen Fluchtwege durch den Untergrund der Stadt.

Der Bau der Mauer

Berlin, 13. August 1961. In den frühen Morgenstunden riegeln die Grenztruppen des SED-Regimes hermetisch alle Übergänge nach Westberlin ab – und somit ist auch das letzte Schlupfloch, durch das viele der DDR-Bürger Richtung Westen fliehen konnten, geschlossen. Stacheldraht und der Bau der Berliner Mauer folgen. Das Resultat des nicht enden wollenden Flüchtlingsstroms aus der DDR – zwischen 1949 und 1961 kehren rund drei Millionen Bürger dem Regime den Rücken: vor allem junge Akademiker sind es, die im kommunistischen Osten keine Zukunft mehr für sich sehen. Die politische Führung will den Untergang der DDR verhindern und errichtet das wohl umstrittenste Bauwerk des Kalten Krieges. Den Flüchtlingsstrom kann die Regierung großteils stoppen, doch das Verlangen der eigenen Bürger nach der kapitalistischen Freiheit des Westens nicht: doch welche Auswege gibt es nach dem Bau der Mauer, um den Repressalien der DDR zu entkommen?

Unüberwindbar?

Die Berliner Mauer wirkte unüberwindbar mit ihren knapp vier Meter hohen Stahlbeton-Elementen, dem Todesstreifen und den zum Abschuss bereiten DDR-Grenzern. Wie die Führung „Tour M – Mauerdurchbrüche“ aufklärt, gab es dennoch Wege und Möglichkeiten die Grenze zwischen Ost und West zu bezwingen – wenn oft nicht ganz reibungslos. Der erwähnte „Tunnel 57“ war zwar der erfolgreichste unterirdische, von Helfern gegrabene Fluchtweg im Kalten Krieg, allerdings nur so lange, bis er an die Stasi verraten wurde.

Der „Tunnel 57“

In jener Nacht vom vierten auf den fünften Oktober 1964 erscheinen plötzlich zwei Männer in der Strelitzer Straße 55 – sie erklären den Fluchthelfern, dass sie ebenfalls in den Westen desertieren wollen – das Codewort „Tokio“ mit dem sie sich als Fluchtwillige zu erkennen geben sollten, ist ihnen allerdings nicht bekannt – außerdem erklären sie, dass noch ein Dritter im Bunde mit ihnen nach West-Berlin entkommen wollen, den sie allerdings „noch holen“ müssen.

Anstatt mit dem Dritten zurückzukehren, werden sie von vier DDR-Soldaten begleitet. Wie sich herausstellt, sind die beiden Fluchtwilligen, in Zivil gekleidete Mitarbeiter der SED-Staatssicherheit. Als die Fluchthelfer erkennen, dass sie verraten worden sind, kommt es zu einem Schusswechsel: der bewaffnete West-Berliner Christian Zobel schießt in die Dunkelheit – es wird zurückgeschossen. Jemand geht zu Boden.

Der DDR-Soldat Egon Schultz wird getroffen und stirbt – das SED-Regime gibt am nächsten Tag bekannt, dass ein Grenzer von einem „West-Berliner Terroristen“ ermordet worden ist. Egon Schultz wird zum Helden. Doch wer hat ihn erschossen? War es tatsächlich der Fluchthelfer Zobel?

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Aufklärung gibt die Führung „Tour M“

Die Führung „Tour M“ der Berliner Unterwelten klärt die Besucher auf mitreißende, doch faktengetreue Weise über die Geschehnisse jener Nacht auf. Die knapp zweistündige Führung beginnt mit einer Einführung in die Historie des Kalten Krieges, in den thematischen Ausstellungsräumen in der Zivilschutzanlage Blochplatz und endet in der Nähe des Originalschauplatzes des Tunnel „57“: in der Bernauer Straße. In den dortigen Ausstellungsräumen des Museums, in den historischen Gewölbe der ehemaligen Oswald-Berliner-Brauerei wird dem Besucher ein objektiver Einblick in die unterirdische Fluchtgeschichte Berlins gegeben. Erwähnung findet nicht nur die spektakuläre Geschichte des „Tunnel 57“, sondern ebenso die zahlreichen erfolgreichen, sowie gescheiterten Fluchten durch Berlins Kanalisation, sowie durch die „Geisterbahnhöfe“ des U-Bahn-Netzes, die kurz nach dem Mauerbau als vorerst ungehinderte Verbindung zwischen West-, und Ost-Berlin vielen Fluchtwilligen die Möglichkeit zu entkommen gab.

Die Führung kann ganzjährig jeweils Freitag bis Sonntag um 11 Uhr, sowie um 14.30 Uhr besichtigt werden – für weiterführende Informationen bitte hier klicken: http://berliner-unterwelten.de/tour-m.675.0.html

Termine: ganzjährig Freitag – Sonntag um 11 Uhr und 14.30 Uhr, zusätzlich April – Oktober: Donnerstag – Sonntag 12 Uhr und 15.30 Uhr
Dauer: ca. 120 Minuten
Karten: Brunnenstraße 105
Treffpunkt: Bad-/Ecke Hochstraße
Eintritt: 13 Euro (ermäßigt 10 Euro)

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